Montag, 26. November 2007

Der Fall, bei dem uns die Anführungsstriche ausgingen

Zu den populärsten unter den zahllosen Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Verdrehungen, die in die Welt gesetzt wurden, um Israel zu schaden, gehört die Geschichte von dem kleinen Mohammed Al-Dura, der, so die Legende, von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurde und "in den Armen seines Vaters" starb, am 30. September des Jahres 2000, bei der Nezarim-Kreuzung im Gazastreifen.

Der Vorfall ließ die sogenannte "2. Intifada" so richtig in Schwung kommen, die zwei Tage zuvor spontan begonnen hatte, nachdem der vorher angekündigte (und genehmigte) Besuch des damaligen Likud-Vorsitzenden Ariel Sharon auf dem Tempelberg mit Krawallen, bei denen spontan vorab auf den Tempelberg geschaffte Steine eine wichtige Rolle spielten, beantwortet worden waren.

Die "Nachricht" des "Todes" des palästinensischen Jungen verdanken wir dem Reporter Charles Enderlin von France 2, dem größten Netzwerk des französischen Staatsfernsehens, die verwendeten Szenen wurden von dem freiberuflichen notabene palästinensischen Kameramann Talal Abu Rahma aufgenommen. Enderlin ließ in seinem Kommentar (er selbst war nicht vor Ort gewesen), keinen Zweifel daran, dass der Junge von israelischen Sicherheitskräften erschossen worden sei.

Da bereits zu einem Zeitpunkt, als wir alle noch an das Offensichtliche glaubten, eben auch schon offensichtlich war, dass der kleine Junge durchaus nicht "in den armen seines Vaters" gestorben war, dass vielmehr dieser Vater sich selbst in Stückchen Platz, das die meiste Sicherheit vor Geschossen bot, gepflanzt hatte, konnte es auch nicht allzusehr verwundern, dass schon bald anhand simpler, elementarer Ballistik von mehreren Seiten widerlegt wurde, dass die Israelis für den Tod des Jungen nicht verantwortlich sein konnten, obgleich die IDF zuerst ohne Überprüfung der Umstände, sozusagen reflexartig und in realistischer Einschätzung, dass sowieso wieder alles an ihnen hängen bleiben würde, die Verantwortung übernommen hatte, um den Schaden womöglich zu begrenzen.

Wir, und auch sicher manch' andere Skeptiker, schrieben seinerzeit das Verhalten des Vaters, der ja entgegen aller Pressemeldungen anscheinend eher alles getan hatte, um den Jungen nicht zu schützen, der kulturellen Eigentümlichkeit der Palästinenser zu, nämlich der, eine (nun ja und mit Bemühen um äußerste politische Korrektheit formuliert) alternative Vorstellungen von der Zukunft ihrer Kinder zu kultivieren. Eine alternative Vorstellung, die man natürlich im Kontext der zu repektierenden Verschiedenheit und Gleichwertigkeit aller Kulturen nicht in Frage stellen mochte.

Es war noch schlimmer.

Die oben erwähnten und weitere Aspekte ließen Zweifel an Enderlins Version aufkommen, zum Beispiel die Tatsache, dass es 27 Minuten Filmmaterial gab, von denen nur 55 Sekunden veröffentlicht wurden. (3 Minuten und 55 Sekunden wurden später der IDF übergeben.) Auf die Frage, warum er nur einen derart kurzen Ausschnitt gezeigt hatte, antwortete Enderlin dem französichen Magazin Télérama im Oktober 2000, dass die "Agonie" des Kindes unerträglich gewesen sei. Ende 2004 erzählte Enderlin demselben Magazin, dass es ein "Missverständnis" gegeben hätte und dass er damit das Szenario vor Ort hätte beschreiben wollen.

Agonie ist, im Deutschen, wie im Französischen, ein Synonym für Todeskampf.

Schon am 18. März 2002 zeigte die ARD eine Dokumentation von Esther Schapira, "Wer erschoß Mohammed al-Dura?" Gudrun Eussner schreibt: "Esther Schapira wundert sich, daß France 2 nicht zur Herausgabe von Filmmaterial über den Tod von Mohammed al-Dura bereit ist. Heute verwundert es nicht mehr; denn es gibt solches Material nicht." Dass niemand an der Beantwortwortung der vielen Fragen, die Schapira schon damals aufwarf, interessiert war, lag wohl daran, dass ja ohnehin jeder wusste, wer in diesem Konflikt die Bösen waren.

Oktober 2004 trafen sich die Journalisten Denis Jeambar, Daniel Leconte und Luc Rosenzweig mit Arlette Chabot von France 2, um das gesamte Filmmaterial zu sehen. Danach wiederholte am 22. Oktober 2004 die israelische Nachrichtenagentur Metula News Agency frühere Behauptungen, dass der Vorfall gestellt gewesen sei.

Am 25. Januar 2005 wiesen Jeambar und Leconte, wie auch Rosenzweig, in Le Figaro, Enderlins Erklärung zurück und sagten, dass die "unerträglichen" Bilder der "Todeszuckungen" von Al-Dura nicht existierten. Allerdings wollten sie von der Unterstellung nichts wissen, dass die Szene gestellt sei.

Zwei Tage später wies Enderlin, ebenfalls in Le Figaro, den Standpunkt seiner Kollegen zurück und beschuldigte sie "Zensur" auszuüben.

Am 20. Oktober 2006 gewannen Enderlin und France 2 ein Verfahren wegen Verleumdung gegen den Direktor der französischen Website Media-Ratings, Philippe Karsenty, der die Behauptungen von Metula veröffentlicht hatte. Enderlin und France 2 wurde ein symbolischer Schadensersatz zuerkannt, Karsenty wurden eine Buße und die Kosten auferlegt. Karsenty legte Berufung ein und am 13. September 2007 entschied das Berufungsgericht, dass das komplette Filmmaterial, das Talal Abu Rahma seinerzeit aufgenommen hatte, gezeigt werden muss.

Am 14. November 2007 wurden dem Gericht dann 18 Minuten eines Videos gezeigt, von dem nur 55 Sekunden den Al-Dura Vorfall zeigen. Der nächste Termin ist für den 27. Februar 2008 angesetzt.

Auf der Webseite "The Second Draft" des amerikanischen Historikers Richard Landes kann man das bisher verfügbare Filmmaterial anschauen, das von France 2, und auch das von Kamaraleuten anderer Organisationen gefilmte, deren Auftraggeber die Vorgänge um Al-Dura père et fils im Gegensatz von Charles Enderlin und France 2 offenbar nicht für veröffentlichenswert hielten.

Dort erfährt man z.B., dass am Morgen des 30. Septembers 2000 ein toter Junge namens Mohammed Al-Dura in ein Hospital in Gaza eingeliefert wurde, etwa vier Stunden, bevor "Mohammed Al-Dura" an der Nezarim-Kreuzung "erschossen" wurde. Dort sieht man auch, wie der "tote" "Mohammed Al-Dura", der trotz eines "Bauchschusses" keinerlei Blutung aufweist, unter seinem Arm weg in Richtung des Kameramannes blinzelt. Dort sieht man z.B. auch, dass es an der Stelle, an der "Mohammed Al-Dura" "starb", unmittelbar nach dem Vorfall überhaupt kein Blut gab, erst später und dann nicht dort, wo der Junge gelegen hatte.

Durch diese France 2-Propagandaaktion, der Sender hatte das brisante Filmmaterial kostenfrei auch an die kleinsten Sender weltweit geliefert, kamen unzähliche Menschen ums Leben, unter anderem, nicht einmal drei Wochen nach den Ereignissen an der Nezarim-Kreuzung, zwei israelische Reservisten, die das Pech hatten, in Ramallah der palästinensischen "Polizei" in die Hände zu fallen, die sie einem Mob auslieferte, der die beiden Männer mit bloßen Händen buchstäblich in Stücke riss, eine Nachricht, die bedeutend weniger Aufmerksamkeit in den internationalen Medien erregte, als der "Tod" des kleinen "Mohammed Al-Dura".



"Mohammed Al-Dura" wurde in der ganzen arabischen Welt zum Märtyrer, Straßen und Schulen wurden nach ihm benannt, Briefmarken mit seinem Bild herausgegeben, und das Filmmaterial auf der Webseite "The Second Draft" zeigt auch, wie diese Ereignisse in den palästinensichen Schulen instrumentalisiert werden, und im Fernsehen in der Kinderstunde den gebannt lauschenden Zwergerln launig das Schicksal eines "Märtyrers" als "glorreich" und "nachahmungswürdig" ans Herz gelegt wird.

Die erste Ritualmordlegende des 21. Jahrhunderts hat ihre Schuldigkeit getan. "Die weltweite Kampagne fügte dem Ansehen Israels mehr Schaden zu, als jedes nachfolgende Ereignis während der Intifada" schreibt Ulrich Sahm.