Drei unter den berühmtesten Fotos in der Geschichte des Photojournalismus sind im Laufe der Zeit in den Verdacht gekommen, Fälschungen zu sein. Die Jungens auf Iwo Jima von Joe Rosenthal, der sterbende Republikanische Militiamann im spanischen Bürgerkrieg von Robert Capa und Arthur Rothsteins Schädel in der Wüste von South Dakota.
Der erste Verdacht beruhte auf einem Missverständnis, der zweite wurde bestätigt, und den dritten hat der Fotograf selbst bestätigt. Er HATTE den Schädel wenige Zentimeter von seinem Originalstandort wegbewegt und es sein Leben lang bereut.
All' diese Bilder kamen unter Beschuss, weil sie hochpolitisch waren und für die Sache einer Seite in einem Konflikt eingesetzt wurden, und dass sie hinterfragt wurden, war gut und richtig.
Ein weiteres Bild in dieser Reihe dürfte das des kleinen palästinensischen Jungen sein, der, von den Kugeln der IDF kaltblütig niedergestreckt, zur Ikone der "Zweiten Intifada" wurde. Keiner der zahllosen vom harten Los der Palästinenser und jüdischer Bosheit zutiefst Bewegten versäumte, es (oft stilistisch überhöht, da die Wirklichkeit immer noch nicht schrecklich genug zu sein schien) auf seine Webseite zu setzen. Manipulation wurde nicht mehr verdammt, sondern zur Pflicht aller anständig Denkenden.
Zweifel an der Originalversion stellten sich schon bald ein (wir berichteten hier und hier), und der Verantwortliche für die zweifelhafte Berichterstattung, Charles Enderlin von France 2, kam in Erklärungsnot. Die israelische Nachrichtenagentur Metula News Agency und die französischen Website Media-Ratings mit ihrem Direktor Philippe Karsenty, veröffentlichten Beweise, die dafür sprachen, dass der Vorfall gestellt gewesen sein könnte.
Am 20. Oktober 2006 gewannen Enderlin und France 2 ein Verfahren wegen Verleumdung gegen Karsenty. Enderlin und France 2 wurde ein symbolischer Schadensersatz zuerkannt, Karsenty wurden eine Buße und die Kosten auferlegt. Karsenty legte Berufung ein und am 13. September 2007 entschied das Berufungsgericht, dass das komplette Filmmaterial, das ein palästinesicher Kameramann seinerzeit aufgenommen hatte, gezeigt werden muss.
Am 21. Mai 2008 verkündete Laurence Trébucq, die Präsidentin des Berufungsgerichts von Paris, den Freispruch des Philippe Karsenty. In einer Sitzung von weniger als zwei Minuten verzichtete sie darauf, ihre Entscheidung überhaupt zu begründen.
Nach vertraulichen anwaltlichen Mitteilungen hatte das Gericht befunden, dass nach Abwägung der vorhandenen Details die Infragestellung der Authentizität der Reportage von France 2 berechtigt und die Tatsache, den Sender und seinen Korrespondenten der Inszenierung zu bezichtigen, nicht verleumderisch gewesen war.
Gudrun Eussner hat ausführlich von Anfang an über den Fall berichtet.
Wirklich interessant aber wurde es, als, nachdem das Urteil in Frankreich zuerst so gut wie totgeschwiegen worden war und keine namhafte Zeitung dort es für nötig gehalten hatte, die Seriosität der Sache Enderlins zu hinterfragen, eine "Petition für Charles Enderlin" ins Leben gerufen wurde.
Dank dieser Petition wurde der Fall nun perverserweise auch in Frankreich bekannt, renommierte Journalisten unterschrieben sie, angesehene Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens schlossen sich ihr an, wie z.B. der frühere Außenminister Hubert Védrine oder der Historiker Jacques Le Goff, einer der renommiertesten Mediävisten des vergangenen Jahrhunderts.
Die Frage ist nun, was diese Petition, die dann Appell genannt wird, bewirken sollte. (Gudrun Eussner weist mit Recht darauf hin, dass eine Petition etwas ist, dass normalerweise der Bürger an den Staat richtet.) Es ist ja nicht so, dass eine böswillige Justiz einen armen Charles Enderlin verfolgt hätte, Enderlin war nicht der Angeklagte in dem Verfahren, er und France 2 waren die Kläger. In schöner Verdrehung der Tatsachen identifiziert der "Appell für Charles" (das Blog The Augean Stables stellt eine englische Übersetzung zur Verfügung) Karsenty als die "Person, die hauptsächlich verantwortlich ist" und zwar für eine "hartnäckige und hasserfüllte Kampagne" gegen Enderlin.
Das Urteil "überrascht" die Appellanten, "weil einem Journalisten, der für die Seriosität und die Strenge seiner Arbeit bekannt ist [i.e. Enderlin], dieselbe Glaubwürdigkeit zugesprochen wird, wie seinen Verleumdern ... die keine Erfahrung haben und kein Wissen über die Berichterstattung aus einem Kriegsgebiet", sagt der "Appell" über einen Enderlin, der in dem "Kriegsgebiet" überhaupt nicht anwesend war.
Es geht also nicht, zu einem anderen Schluss kann man nicht kommen, um die Frage, ob Karsentys Kritik an Enderlin und France 2 begründet ist, ob der Al Dura-Bericht tatsächlich gefälscht ist oder nicht, sondern darum, ob man eine Institution vom Gewicht von France 2 und seinen Verteter im Mutterland von Liberté, Egalité, Fraternité überhaupt kritisieren darf.
Wie im Kommentarbereich der Augean Stables zu recht festgestellt wird, ist der Fall Enderlin/Al Dura durchaus mit dem der Fälschungen der Dreyfus-Affäre vergleichbar. Der renommierte ultrarechte Schriftseller Charles Maurras nannte sie seinerzeit eine "patriotische Fälschung" und so ist es auch im Fall Charles Enderlin. Der Jude Dreyfus war schuldig per definitionem, der Überjude Israel auch. Nichts hat sich geändert, außer der politischen Farbe der Patrioten.
Mittwoch, 25. Juni 2008
Lüge als Pflicht aller anständig Denkenden
Posted by The_Editrix at 10:51
Labels: "Es" denkt mal wieder, Des Teufels Hofschranzen, Israel, Ritualmord- und andere Legenden