Sonntag, 24. Mai 2009

Gesamtgesellschaftliche Schadensbegrenzung

Die Welt, die einstmals die "DDR" nicht ohne Anführungszeichen schreiben mochte, betreibt unter dem Titel Experten bezweifeln Mittäterschaft der Stasi Geschichtsrelativierung.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Ex-Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Schah von Persien in Berlin erschossen hatte, seit 1955 für die Stasi tätig gewesen war. Nun melden sich Experten von Gnaden der Welt zu Wort.

Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, der im Oktober 1967 ins Amt gekommen, nachdem sein Vorgänger Heinrich Albertz wegen des Todes von Benno Ohnesorg zurückgetreten war,

glaubt nicht, dass Kurras von der Stasi die Anweisung erhielt, auf Ohnesorg zu schießen: "Ich kann mir nicht denken, dass die damalige SED-Führung einen solchen Auftragsmord - und dann auch noch einen so eigentümlich laienhaft durchgeführten - angeordnet hat."
Laienhaft? Immerhin ist Kurras doch über vierzig Jahre damit davongekommen. Man könnte jetzt argumentieren, dass grade die Stasi innerpolizeiliche Strukturen kannte, und davon ausgehen durfte, dass Kurras von den Ermittlungsbehörden nichts zu fürchten haben würde. Was ja dann auch eintrat. Und dieser Staat, die DDR, in dem für politische Straftaten bis 1981 die Todesstrafe verhängt und vollstreckt wurde, sollte keinen "solchen Auftragsmord" angeordnet haben? Können sie das begründen, Herr Schütz? Oder besser: Schämen sie sich nicht?

Auch der ehemalige Beauftragte für die Stasi-Unterlagen Joachim Gauck glaubt an das Gute im DDR-Menschen:
"Natürlich war die SED immer daran interessiert, die Bundesrepublik zu destabilisieren, aber diese Aktion wäre zu abenteuerlich gewesen, um von der Stasi inszeniert zu werden."
Wohingegen doch jeder weiß, dass die DDR eher zu so wenig abenteuerlichen Mitteln, wie z.B. einem Bundeskanzler einen Spion ins Vorzimmer zu setzen, neigte.

Der dritte Experte ist der Ex-DDR-Schriftsteller Erich Loest, der meint, dass
die Geschichte trotz der Aktenfunde "nicht umgeschrieben" werden (muss): "Die Kenntnis von Kurras' Stasi-Tätigkeit hätte die Studentenbewegung kein bisschen beeinflusst, die ließen sich doch nicht von Tatsachen beeindrucken."
Es geht nicht darum, was passiert WÄRE WENN, Herr Loest, sondern was passiert IST, nämlich um die Tatsache, dass SCHON WIEDER herausgekommen ist, dass an einem Wendepunkt der Bundesdeutschen Geschichte die Stasi ihre Finger im Spiel hatte. Und wenn wir schon spekulieren müssen: Nein, die 68er hätten sich nicht beeindrucken lassen. Sie mochten die DDR schließlich auch nicht, wenn sie auch keine großen Berührungsängste vor ihr hatten. Aber sehr, sehr viele bürgerliche Sympathisanten, Leute z.B., wie das ganz und gar unwahrscheinliche Opfer Benno Ohnesorge, hätten noch einmal überlegt, wohin sie gehören.

Aber der Mann der Feder, der die DDR doch so gut kennt, ist nicht zu stoppen. Loest:
"Karl-Heinz Kurras war ein ganz wichtiger Spion, wunderbar platziert in der Berliner Polizeibehörde. Man hätte niemals einen Topspion gefährdet."
Ja richtig! Der Topspion, der Streife schieben musste. Alles, um den Ball flach zu halten, nicht wahr?

Wenn eines der ehemaligen Bollwerke gegen den Kommunismus sich nicht schämt, diesen schamlos geschichtsrelativierenden Dreck abzudrucken, dann kann man davon ausgehen, dass der Antikommunismus von damals wie das DDR-Kleinhalten von heute nichts als Anbiedern beim Zeitgeist war bzw. ist. Und der ist - wir sind in Deutschland - immer fürchterlich.

Man fühlt sich übrigens an das schmuddelige Schwesterblatt BILD erinnert, das auf na sagen wir mal: populärerem Niveau heute für Leute den Psychiater bestellt, zu deren öffentlichem Hängen sie vor dreißig Jahren noch aufgerufen hätte. Aber das ist eine andere Geschichte.