Montag, 22. März 2010

Wohin Toleranz führt oder: Dschungelcamp für die Elite

...so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.

Das Phänomen Odenwaldschule hat groteske Ausmaße angenommen. Was soll das alles? Ist das nicht seit über 10 Jahren bekannt? Warum wurde das damals nicht thematisiert? Und jetzt zieht sich das Feuilleton daran hoch. Die Gelegenheit, das letzte (aber auch wirklich das ALLERletzte) Detail eines Massenfalles von sexuellem Missbrauch beschreiben zu können und sich dabei auch noch schöngeistig-betroffen geben zu können, hat man ja nicht alle Tage. Auch wannabe- und have-been-Promis bekommen auch noch einmal ihre fünf Minuten im Rampenlicht.

Da ist diese Person, deren Zug um den Mund in mir bereits den dringenden Wunsch, ihr eine zu knallen, aufkommen ließ, als sie noch eine kesse Mediengöre war und die als alte Frau nur noch peinlich ist. Ihre Bescheidenheit ist legendär:

Ich würde mich erinnern, wie ich in Stephan verliebt war, der mir selbstgebrauten Apfelsinenwein schenkte, der dann in meinem Zimmer explodierte. Und wie ich Christoph, nachdem er mich monatelang gemobbt hatte, vor der ganzen Klasse verprügelte - worauf er mir nicht mehr von der Seite wich. Ich könnte von Thomas erzählen, der sich mehr für Fußball als für mich interessierte, und von Hajo, der so groß war, dass ich auf einen Hocker steigen musste, um ihn zu küssen.
Und:
Erst als ich die OSO verlassen hatte, merkte ich, wie außergewöhnlich meine Zeit dort gewesen war und wie viel ich gelernt hatte: Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen.
Toll! Ein Veilchen auf der Wiese stand. Gebückt in sich und unbekannt; Es war ein herzig's Veilchen! Aber den Missbrauch in die Welt hinaus zu schreien, dafür hat es dann doch nicht gereicht.

Oder der Sohn eines Ober-Gutmenschen, der von Missbrauchsfällen wusste und dennoch als Zivi wieder in diese Schule zurückging und nun in der Printausgabe des Spiegels die offensiven Maßnahmen der derzeitigen Schulleitung kritisiert. Aus dem Kommentarbereich von SPON:
Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass Jens der aktuellen Schulleiterin vorwirft, dass sie versuche "dem Spuk mit einem spätstalinistischen Säuberungsgewitter ein Ende zu setzen", indem sie gegen Becker und fünf andere ehemalige des Missbrauchs verdächtige Pädagogen ein Hausverbot verhängt hat. Sie habe "au Backe, auf den Putz gehauen". Das ist doch lächerlich. Die Frau hat das getan, was eine verantwortliche Person in dieser Position tun musste, um wenigstens noch den letzten Rest der Reputation der Schule zu retten.
Das Beste zum Schluss: Das Grüne Urgestein Daniel Cohn-Bendit, selbst Alumnus der Odenwaldschule, der in den flotten Siebzigern nichts dagegen hatte, wenn ihm Kindergartenkinder an die Hose gingen, zeigte sich "erschüttert darüber" dass an seiner alten Schule
eine libertäre Sexualmoral, die auf Emanzipation angelegt ist, für sexuellen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung benutzt wurde.
Was wir hier mit anschauen können, ist nicht die Aufarbeitung einer dreckigen Vergangenheit, sondern "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" für die, die sich für sowas wie eine intellektuelle Elite halten.

Dass all das kein Zufall ist, sondern passieren MUSS, wenn man gegen die menschliche Natur handelt, wenn also Schranken zwischen den Generationen, zwischen Lehrern und Schülern - Hierarchien - aufgehoben werden, das scheint sogar denen, die jetzt über den Fall Odenwaldschule ehrlich betroffen sind, nicht aufzugehen. Reformpädagogik hat sich in der Odenwaldschule nicht fehlentwickelt, sondern lediglich als der zynische Dreck entlarvt, der sie ist.