Dienstag, 4. Dezember 2007

Ein Sensatiönchen

Die ansonsten zum Speien politisch korrekte "Süddeutsche" erfreute uns gestern mit einem Artikel "Links, aber Fascho" über den Antisemitismus der jungen linken Akademikergeneration. Da dieses Blatt immer, genau wie die Bildzeitung, allerdings für die gebildeten Stände, sein Ohr am Zeitgeist hat, können wir uns vielleicht bald über einen Trendwechsel nämlichen Zeitgeistes freuen.

Der jungen Generation linker Akademiker ist ihre eigene Tradition unheimlich geworden. Sie stellt die bislang kritiklose Solidarität mit den arabischen Völkern, die aus einer Verknüpfung von Antiimperialismus und Antizionismus kam, neuerdings massiv in Frage. Dies zeigt eine Diskussion, die Doktoranden der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung angeregt und vor drei Jahren auf einer Tagung zum Thema "Antisemitismus in der deutschen Linken" geführt haben. Daraus ist ein Sammelband entstanden, der so etwas wie eine Geschichte des linken Antisemitismus in Deutschland geworden ist.

Er beginnt mit den antijüdischen Schriften der Philosophen Hegel, Bauer, Feuerbach und Marx. Markus Kneer stellt heraus, dass auch bei diesen Vertretern eines aufgeklärten Welt- und Freiheitsverständnisses Antisemitismus zu finden ist.
Tja... wer hätte das nur gedacht!
Je ideologischer - so scheint es - desto antisemitischer ging es in der deutschen Linken zu. Ein gutes Beispiel dafür ist der Vergleich zwischen SPD und KPD. Mario Keßler zeigt, dass antisemitische Positionen in der SPD zur Zeit der Weimarer Republik nur gering ausgeprägt waren. Leider trennte sich die SPD kurz vor ihrem Verbot 1933 in vorauseilender Anpassung von ihren jüdischen Führungskräften.
Hervorhebung von mir.

Das einzige, was mir dazu einfällt ist, dass zumindest mein Vater und mein Großvater mütterlicherseits zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr in der SPD, sondern in der SAP waren. Ob die besser waren?
Doch ist dieser schmachvolle Abgang von der politischen Bühne kaum zu vergleichen mit dem offensiven Antisemitismus der KPD zur selben Zeit...
...macht ihn aber auch nicht besser.
Diese Tradition wurde nach 1945 von der DDR fortgesetzt. Ihre Politik sah Israel als Brückenkopf des amerikanischen Imperialismus und Vorposten des internationalen Monopolkapitals, so Thomas Haury. Übertroffen wurde das nur noch von den gewaltbereiten Ausläufern der Achtundsechziger-Bewegung im Westen, wie Wolfgang Kraushaar und Philipp Gessler aufzeigen. In der Agitation der RAF und anderer linker Terrorgruppen der Bundesrepublik waren Zionismus, Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus eins. Danach waren die jüdischen Opfer des Faschismus spätestens nach dem Sechstagekrieg 1967 selbst zu Faschisten geworden.
Gibt es auch etwas neues?
Auch der gern von arabischer Seite erhobene Vorwurf, Deutschland lasse sich von seinem schlechten Gewissen gegenüber Israel leiten, war ein gängiges Motiv linker Propaganda. Antizionismus war in diesen Kreisen nur ein besseres Wort für den nicht mehr gesellschaftsfähigen Antisemitismus, so Martin Kloke. Dies lässt sich an der Sprache, aber auch an einer Reihe von Anschlägen belegen, vom missglückten Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin 1969 bis hin zur Flugzeugentführung von Entebbe 1976.
Der erste war Henryk M. Broder, aber seit Jahrzehnten wird von ehrlichen Schreibern aller Farbtöne in unterschiedlichen Stufen der Verzweiflung dagegen angestunken und da braucht es jetzt X Doktoranden, um dieses Wissen endlich mainstreamfähig zu machen?
Der Vorsatz, den Antisemitismus in den eigenen Reihen aufzudecken, schießt in diesem Band zuweilen über sein Ziel hinaus. So geraten die Ausführungen Jörg Wollenbergs zur jüdischen Remigration in der deutschen Arbeiterbewegung nach 1945 zu einer regelrechten Abrechnung mit den Gewerkschaften und der SPD. Wollenberg wirft der Arbeiterbewegung um Kurt Schumacher und Hans Böckler, die im Dritten Reich überwintert hatte, vor, den Emigranten aus den eigenen Reihen eine Karriere in der Bundesrepublik verweigert zu haben.
"Überwintert" ist ein eleganter Euphemismus für "12 Jahre KZ" oder "Illegalität" oder "Schutzhaft". Muss ich mir merken. Aber was solls, ich schreibe ja nicht für die "Süddeutsche".

Weiter:
Schuld daran sei unter anderem deren latenter Antisemitismus. Diese Unterstellung bleibt jedoch eine Mutmaßung. Möglicherweise dient sie dem Ziel, die Abkehr der bundesdeutschen Gewerkschaften vom Konzept des Klassenkampfes und ihre Hinwendung zur Sozialpartnerschaft zu diskreditieren - eine Entwicklung, die viele Emigranten nicht nachvollziehen konnten und die auch Wollenberg kritisiert.
Da ich das Buch (noch) nicht gelesen habe: Ja, möglicherweise.
Die Beiträge dieses Buches beleuchten historische, psychologische und soziologische Aspekte des Antisemitismus. Man lernt, dass Antisemitismus keineswegs nur eine Angelegenheit der Rechten ist und war, sondern seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine die politischen Strömungen übergreifende Ideologie darstellte, die sich aus der Angst vor dem weltweiten Kapitalismus und westlichen Lebensformen nährte und daher immer wieder auch von Linken politisch instrumentalisiert wurde.

Eine Diskussion über den Antisemitismus in der Linken kommt auch heute nicht ohne ideologische Grabenkämpfe aus. In dieser Antisemitismusdebatte geht es nicht um die Juden, Israel oder den Nahen Osten. Das alles ist nur die Projektionsfläche einer nach innen gerichteten Identitätsdebatte. Der von den Hans-Böckler-Doktoranden initiierte Sammelband ist der lobenswerte Versuch, eine überkommene linke Identität zu korrigieren und sich von den antisemitischen Resten linker Ideologie zu befreien.
Man lernt das, was man seit Jahrzehnten ohnehin wissen könnte, und diese Tatsache macht aus dem "lobenswert" ein "überfällig".

Die bibliographischen Angaben zum Buch:
MATTHIAS BROSCH, MICHAEL ELM, NORMAN GEISSLER, BRIGITTA ELISA SIMBÜRGER, OLIVER VON WROCHEM (Hrsg.): Exklusive Solidarität. Linker Antisemitismus in Deutschland. Vom Idealismus zur Antiglobalisierungsbewegung. Metropol-Verlag, Berlin 2006. 436 Seiten, 24 Euro.