Samstag, 1. Dezember 2007

Horror Vacui und Vergangenheitsbewältigung

Dienstag erfreute Spiegel Online uns mit Humor aus dem Vatikan. Diese mittelalterlichen Deppen sind ja, was ihren Unterhaltungswert angeht, kaum zu schlagen.

Rom - Damit das Volk die frischgeschöpften Kardinäle begutachten konnte, wurden sie am Sonnabend von 16.30 bis 18.30 Uhr ausgestellt. Es war ein Alptraum, jedenfalls für die Schweizergarde. In der "Sala Clementina", wo sonst auch US-Präsidenten nicht wagen würden, sich hinzusetzen, lümmelten sich fußschwache Touristinnen auf den Stühlen, Video-Blogger gratulierten wildfremden Kardinälen, und einem Lutherling gelang es, bis zur Sixtinischen Kapelle frech vorzudringen. Es war Anarchie im Kirchenstaat und hemmungslose Flegelei in der Hochsicherheitszone des Katholizismus.

Erzbischöfe drängelten sich mit Ordensfrauen und ordensbehängten Mitgliedern des diplomatischen Korps. Man roch das Parfüm des schwarzen Adels und sah Proselyten mit feuchten Augen vor den neuen Eminenzen in die Knie gehen. Mancher trug Kreuzfahrerausrüstung, andere ganz erstaunlich kurze Röcke, und alle knipsten sich vor Cherubino Albertis "Taufe des Hl. Clemens" oder lächelnd gelehnt an den Thron Petri.

"Ich bin nur der Bilder wegen hier", sagte Pater von Gemmingen, der Chef des deutschen Radio Vatikans, und auch er hatte sich, wie viele andere, an den Kontrollscannern draußen vorm Bronzeportal vorbeischmuggeln können.
Tja, diese Katholiken sind eben immer für einen Heuler gut.

Tatsächlich aber ging es bei dem Artikel mit dem launigen Titel "UUPS! - ET ORBI - Dalai Lama muss draußen bleiben" darum, dass "Alle Jubeljahre ... Tag der offenen Tür im Papstpalast (ist), und man ... endlich einmal ungestört Benedikts Hochsicherheitszone durchschnüffeln (kann)", einer aber unerwünscht ist, nämlich (und das ganz ohne Anführungszeichen) "...der gottgleiche Kollege aus Tibet."

Aber Benny! Wie konntest du nur!

Und Spiegel Online weiß auch warum:
Vermutlich gibt es wie immer bei diesen Gelegenheiten viele fein ziselierte Gründe für die Entscheidung. Aber das chinesische Außenministerium hatte eben schon im Vorhinein protestiert und gehofft, "dass der Vatikan nichts unternehme, die Gefühle des chinesischen Volkes zu verletzen". Und das will die Kurie natürlich nicht, zumal man gerade mit dem "Brief an die Gläubigen in China" auf die friedliche Koexistenz mit Peking gesetzt hat.
Das macht Sinn. Die Chinesen könnten böse werden und dem Vatikan den Krieg erklären. Oder die stattliche katholische Minderheit in China würde es spüren. Oder vielleicht hofft man ja auf eine Aufhebung des Verbotes der christlichen Religionen? Ganz klar, der Vatikan hat jeden Grund, die Chinesen nicht zu verärgern.

Wie wäre es mit ein paar anderen, weniger "fein ziselierten" Gründen?

Wie wäre es, wenn der Papst einem Mönchskult, dem vor keiner Perversität graut, schlichtweg nicht durch den Empfang seines Führers eine Glaubwürdigkeit verleihen will, die er (der perverse Mönchskult) nicht verdient?

Was, wenn dem Papst, als Katholik und einer der führenden Vertreter der Westlichen Kultur, die besoffenmachenden, irrationalen und grausamen Seiten dieses Kults zuwider sein sollten?

Wie, wenn Ratzinger, als einer der führenden christlichen Theologen seiner Generation, das Guru-System des Lamaismus, das totale Unterwerfung des Schülers unter den "Meister" verlangt, das keine individuelle und freie Entwicklung des Menschen will, sondern das, was wir als "Seele" verstehen gezielt durch meditative Praktiken zu zerstören sucht, um Raum für eine seiner zahlreichen "Gottheiten" zu schaffen, ablehnt?

Was, wenn es dem deutschen Katholiken Joseph Ratzinger, geboren am 16. April 1927 in Marktl am Inn, der das alles schon einmal gesehen hat, einfach stinkt einen Mann zu empfangen, dessen enger Freund ein Nazi war?

Oder der den "Treuebund" zwischen den Nazis und den buddhistischen Mönchen von dem sich der Gottkönig genauso wenig distanziert hat, wie von Ex-SS-Oberscharführer Heinrich Harrer, nicht so gut findet, wie etwa Roland Koch.

Oder die guten Beziehungen des Kuttenträgers zur Theosophischen Gesellschaft, dem "missing link" zwischen Buddhismus und Christentum, für deren Mitglieder der Holocaust lediglich Ausdruck des ungünstigen Karmas der Juden ist. Haben die halt Pech gehabt!

Klar haben die Deutschen es schon immer geil gefunden, Nazis bleiben zu können, aber irgendwie so, dass es auf den ersten Blick keiner merkt. Der Kampf für ein "Freies Palästina" und der Arafat-Feudel der Siebziger Jahre, der ja neuerdings fröhliche Urständ feiern soll und die Toleranz, Dialogbereitschaft und Friedfertigkeit gegenüber einer intoleranten und gewalttätigen fremden Religion, fallen uns da natürlich zuallererst ein, aber der Dalai Lama ist auch nicht schlecht.

Kein Wunder, dass er inzwischen derart über Kritik erhaben ist (man schaue sich nur einmal seinen Wikipedia-Eintrag an), daß daneben der Vatikan nachgerade demokratisch organisiert und transparent wirkt. Neben den "sinnsuchende(n) Anhänger, religiöse(n) Nomaden und Meditationsspekulanten", die Fakten einen feuchten Lehm interessieren, solange ihnen nur ein warmes Gefühl im Bauch versprochen wird, hat der Mann in der gelblichen Mönchskutte in unserem Land auch gleich noch den Altnazi-ohne-dass-es-sofort-auffallen-würde-Bonus auf seiner Seite, der hier ja immer wie eine Bombe einschlägt.

Auch der Teil der christlichen Botschaft, der von Freiheit und Verantwortung redet, hat sich nie wirklich bei einem Volk durchsetzen können, das Hirnentleerung nicht als Mangel, sondern als Tugend ansieht und das Autorität masochistisch goutiert.

Spiegel Online allerdings weiß, worauf es wirklich ankommt:
Apropos feine Unterschiede. Der neue päpstliche Zeremonienmeister, Monsignore Guido Marini, hat am Sonntag, bei der Eucharistiefeier für die neuen Kardinäle, sein Gesellenstück geliefert. Benedikt XVI. trug, anders als sein Vorgänger, wieder das "Pluviale", den alten Chormantel aus golddurchwirkter Seide mit einem Parament aus dem 15. Jahrhundert. Auf dem Kopf hatte er die Mitra von Pius IX. und unter sich den Thronstuhl von Pius X.
Und die haben alle, wie man ja nur allzugut weiß, Dreck am Bischofsstab.

Und kein Wort über den gerissenen kleinen Mann in Gelb. Kein Wort hier über feine Unterschiede, ebenso fein ziselierte Gründe und Abgründe.

Wir im Westen haben längst diejenigen Wahrheiten aufgegeben, die uns einmal zu dem gemacht haben, was wir sind. Die entstandene spirituelle Leere füllen "Religionen", die immer noch "Wahrheiten" anzubieten haben, auch wenn es destruktive und verkommene "Wahrheiten" sind, und wir lassen es zu. Wie auch im Fall des Islams akzeptieren wir, die wir für uns auch die allernachsichtigsten moralischen Autoritäten als oppressiv abgeschafft haben, nur allzu gerne eine moralisch verkommene fremde Autorität.

Vor allem, wenn sie uns dann auch noch derart komfortabel mit der Vergangenheit zu versöhnen vermag.