Freitag, 11. Januar 2008

Die Journaille und das Kindchenschema

Michael B. Berger, Ressortleiter Niedersachsen bei der Hannoverschen Allgemeinen, hat ein Problem, mit dem er nicht allein ist.

Iss‘ er nicht süss? Ach, wie isser niedlich. Nein o nein, das es so was Niedliches gibt... Diese göttlichen Knopfaugen, zum Nur-noch-Hinschmelzen.... Liebe Leser, die Rede ist ... von einem Raubtier, das weder Anstand noch Moral kennt.
Es geht Berger also hier um ein Raubtier, das weder Anstand noch Moral kennt, das von vielen als attraktiv betrachtet wird und das viel zu viel Medienpräsenz genießt.



Kann es Paris Hilton sein?


Oder Britney Spears?

Aber nein, es ist nicht dieser Doppelnadir menschlicher Entwicklung, sondern ein wenige Wochen alter Eisbär, der die Gemüter deart zum Überschäumen bringt. "Angriff der Niedlichkeit", nennt es der Stern (das sind die, die seinerzeit derart geil darauf waren, die Tagebücher des geliebten Führers abzudrucken, dass sie dem Angriff eines plumpen Fälschers nicht widerstehen konnten). Die Welt hängt es schon ein bisschen höher und so lässt ihr Ressortleiter Feuilleton, Eckhard Fuhr, raushängen, wie hoch man dort über dem "Zeitalter der Verknutung" (ha ha!) steht. Er findet, dass
nun in Nürnberg der Medienhype um ein „süßes, kleines“ Eisbärbaby, dessen „Äuglein“ noch geschlossen sind, von neuem (beginnt). „Alles wird knut!“, stöhnt der Boulevard verzückt, weil der Zoo angekündigt hat, das Junge der Bärin Vera nun doch von Pflegern aufziehen zu lassen
statt sich zum Beispiel über die armen Hunde-Travestien aufzuregen, die Showbiz-Nutten, wie Spears und Hilton mit sich herumschleppen.

Uns ist der Rummel um kleine Eisbären lieber, als der Rummel um total verkommenes Illustriertengeschmeiß und wenn die Kinder dieser Medienwelt zur Abwechsung mal nicht nuttige, sondern niedliche Fotos zu sehen bekommen, auch wenn pseudo-intellektuelle Dummschwätzer niedlich nur noch "niedlich" schreiben oder süß nur noch "süß", um zu beweisen, wie sehr sie über primitiven Atavismen, wie dem Kindchenschema (und dem "Boulevard"), stehen, um so besser!

Wer sich einerseits darüber aufzuregen vermag, dass ein Raubtier, obwohl es doch - horribile dictu! - weder Anstand noch Moral kennt, als unschuldig (="niedlich") wahrgenommen wird, mit der untersten Gosse menschlicher Verhaltensformen aber andererseits weniger Probleme zu haben scheint, hat als homo sapiens ein Legitimationsproblem.

Und aus schierem Trotz hier noch ein Bild der - ja - niedlichen kleinen Eisbärin:



Einen erstaunlich differenzierten Artikel findet man hier in der Süddeutschen.