Montag, 23. Juni 2008

Das Menschenrecht auf Feuchte Träume

Zwischen copy-and-paste jobs, eitler Selbstdarstellung, schlichtweg Langweiligem und dem einen oder anderen netten Gastbeitrag, findet sich auf AchGähn auch schon 'mal was Lesenswertes, vor allem dann, wenn Henryk M. Broder sich dazu herablässt, sich Mühe zu geben. Dieser Beitrag von gestern ist unübertroffen. Und ja, eigentlich ist er nicht von Broder, aber nur er scheint so etwas provozieren zu können oder nur er hat den Mut, so etwas ins Netz zu stellen.

Zuerst fragt man sich, ob sich dieser Leserbriefschreiber nicht schämt. Nein, nicht für seine Ansichten - "natürlich" schämt er sich dafür nicht - aber dafür, Broder, und alles, was der schreibt, derart glänzend zu bestätigen, während er ihm gleichzeitig widerspricht. Korrektur: Eben dadurch dass und wie er ihm widerspricht.

Der Beitrag verdient es, in voller Länge analysiert zu werden:

Sehr geehrter Herr B.!
Darf ich mich vorerst vorstellen. Ich bin Physiker, Schweizer und alles andere als ein Antisemit. 1) In unserem allerengsten Freundeskreis haben wir mehrere Juden. 2) Ich gehe von folgendem aus: Vor 60-70 Jahren gab es in Palästina noch keinen Judenstaat. Alles Land, welches die Zionisten beanspruchen ist in diesem Sinne gestohlen, 3) wobei ich mir der Härte dieses Ausdruckes bewusst bin, es aber so meine. 4) Stellen Sie sich vor, die Zionisten wären auf die Idee gekommen, dass Nordrhein Westfalen das gelobte oder verheissene Land sei – oder auf unsere Schweizer Verhältnisse gemünzt: Die italienische Schweiz sei das gelobte Land, und damit hätten sie Anspruch darauf. 5) Dank ihren Fähigkeiten 6) und der Unterstützung der Juden aus aller Welt 7) gelingt es ihnen unsere italienische Schweiz oder Nordrhein Westfalen zu erobern. 8) Würden die Deutschen, würden die Schweizer sich da nicht auch wehren. 8) Kommt noch hinzu, dass Europa und der Rest der Welt die zionistische Besitznahme von arabischem Boden 3) nur billigte um das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen. 9) Wieso haben die Deutschen, welche die Hauptschuld am Holocaust haben den Zionisten oder den Juden – bleiben wir einmal beim Beispiel Nordrhein Westfalen – nicht dieses Land abgetreten und ihnen erlaubt dort einen eigenen Staat zu gründen? 5) Könnte man das nicht auch heute noch tun und die Juden damit bewegen Israel aufzugeben? 10) Bringen Sie diese Idee doch einmal in deutschen politischen Kreisen zur Sprache! Dieses Gedankenexperiment (dieser Begriff stammt von Einstein) 11) zeigt, wie unhaltbar der zionistische Gedanke ist. 5) 10)

Kommt noch folgendes hinzu. Seit Bultmann usw. (ca. 1930) 11) haben die Christen mit der Neutestamentskritik begonnen und seit da ist der historische Wahrheitsgehalt dieses Buches sehr relativiert worden. Die Juden haben mit der Alttestamentskritik eben jetzt erst begonnen. Zum grossen Glück ist einer der führenden Altttestamentskritiker ein Jude aus Israel – man stelle sich vor es wäre ein Europäer oder gar ein Deutscher. 12) Dabei hat sich gezeigt, dass es mit diesem gelobten oder verheissenen Land bei weitem nicht so weit her ist wie die Juden behaupten und, wie im neuen Testament, zu einem signifikanten Teil nichts weiter als Fantasie ist und mit der Geschichte in keiner Art und Weise übereinstimmt. 3) Aber man muss nicht einmal bei der Alttestamentskritik beginnen. Schon die klassische Geschichte weiss, dass die Juden Palästina höchstens 70 Jahre in Besitz hatten, also auf der Zeitachse der Weltgeschichte, wenige Sekunden. 3) Was mich an Ihrem ausserordentlich stört ist eben dies, dass man Israel oder die Zionisten überhaupt nicht mehr kritisieren darf ohne sofort als Antisemit zu gelten. 13) Die Verbrechen, welche die Juden und die Zionisten an den Palästinensern begehen sind himmelschreiend. 3) Und Sie wollen uns verbieten, das zum Ausdruck zu bringen. 13)
Ich bin mit Ihnen überhaupt nicht einverstanden. Ihr Artikel hat in mir politische Wut aufkommen lassen. 4)
Mit freundlichen Grüssen: R.v.S.
Nein, originell ist das nicht, aber es hat Lehrstückcharakter.
  1. Ein Antisemit möchte alles, nur um Himmelswillen nicht Antisemit genannt werden.
  2. Jeder Antisemit hat jüdische Freunde. Immer! Es gibt keinen, der keine hat.
  3. Antisemiten wissen alles über die Geschichte des Nahen Ostens, bis zurück zum Alten Testament.
  4. Antisemiten sind, in schönem Widerspruch zu 1), eigentlich stolz darauf, Antisemiten zu sein, obwohl sie "natürlich" nicht so genannt werden möchten.
  5. Antisemiten ist kein Vergleich zu absurd, konstruiert, unsachlich oder schlichtweg zu dämlich, wenn er nur ihren antisemitischen Standpunkt unterstützt.
  6. Antisemiten fürchten zutiefst die "überragenden Fähigkeiten" der Juden.
  7. Antisemiten wissen, dass es eine jüdische Weltverschwörung gibt.
  8. Antisemiten haben erregende Phantasien von jüdischen Eroberungs- und Gewaltgelüsten.
  9. Antisemiten unterstellen, dass jegliche pro-jüdische Einstellung nur einem (jedenfalls falschen oder zumindest krass überzogenen) schlechten Gewissen entspringen kann. Wem sonst?
  10. Antisemiten sind besessen vom und erregt durch den Gedanken an den Untergang Israels.
  11. Antisemiten zeigen gerne, wie belesen sie sind, denn schließlich haben sie etwas zu sagen.
  12. Antisemiten lieben Juden, solange die wirklich oder vermeintlich ihre antisemitischen Standpunkte unterstützen.
  13. Antisemiten glauben fest daran, dass man Juden nicht kritisieren darf, obwohl sie und andere es ständig tun.
Ja, dieser Brief lässt wirklich nichts aus. Wie Liza sinngemäß so schön sagt, hat "Israelkritik" inzwischen den Status eines Menschenrechts erreicht und die Antisemiten fühlen sich wirklich und wahrhaftig ihrer elementarsten Würde beraubt, sobald ihnen jemand auch nur widerspricht oder, wie ich es formulieren würde, wobei ich mir der Härte dieses Ausdruckes bewusst bin, es aber so meine, ihre Wichsvorlage wegnimmt.