Montag, 24. August 2009

Begreift endlich, dass alles geht, sonst knallt's!

...oder: Der Tatort, der Deutschland veränderte
...oder: Vom Gebrauchswert eines Autors


Gudrun Eussner vermerkt in ihren "Weisheiten":

3sat der ARD erfindet einen Thementag über die 70er Jahre, bietet dazu zum sechsundzwanzigtausendvierhundertelften Mal den Tatort "Reifezeugnis" und läßt die "Kommissar"-Fans frustriert zurück. Weisheit von mirrr! Tatort Reifezeugnis. Buch: Herbert Lichtenfeld, Regie: Wolfgang Petersen, 1977
Das ist kein Zufall, das hat Methode. Dieser Streifen war der Durchbruch der politischen Korrektheit in Deutschland. Er brach mit der negativen Besetzung grundsätzlicher Dinge, die vorher noch nicht auf breiter Basis gesellschaftlich akzeptiert waren, von denen aber jeder recht (oder besser: links) Denkende dachte, dass sie spießig und verknöchert seien und auf den Müllhaufen der Geschichte gehörten: Eheliche Treue, Tabuisierung von Sex zwischen den Generationen, Tabuisierung von Sex zwischen Lehrern und Schülern und die Missbilligung von Leuten, die einem anderen Menschen das Leben genommen hatten. "Nasti" war doch so anbetungswürdig, Christian Quadflieg so männlich und doch verletzbar, Judy Winter so ein tapferes Frauchen - irgendwie war auf einmal alles verständlich und damit alles entschuldbar. Und weil es nach 32 Jahren immer noch Unbelehrbare gibt, die an derart vemotteten Idealen festhalten möchten, muss es eben zum sechsundzwanzigtausendvierhundertelften Mal wiederholt werden, denn wer nicht begreifen will, dass heute alles geht, bekommt irgendwann Probleme.

Laut Wikipedia-Eintrag wollte Lichtenfeld "sich aus Überzeugung nicht als Literat oder gar als Weltverbesserer verstanden wissen" - und in der Tat, das war er nicht. Er zog für sich vielmehr die Bezeichnung "Gebrauchsautor" vor, und darin war er unübertroffen.