Ein Nachruf auf menschlichen Anstand und nebenbei auch auf Edward Kennedy
Das Wort "tragisch" ist eines der am meisten missbrauchten der Deutschen Sprache und am meisten und am missbräuchlichsten wird es außerhalb der germanistischen Fakultäten auf die verkommenste Familie des ganzen okzidentalen Kulturkreises, die Kennedys, angewendet.
Was ist "tragisch"? Tragisch ist das unschuldige Schuldigwerden, für das Ödipus, der seinen Vater erschlägt und seine Mutter heiratet und von beidem nichts weiß, den Archetypen darstellt, oder eine Situation, in die der Protagonist unschuldig geraten ist, wie der Jagdhund Krambambuli in der Erzählung der Marie von Ebner-Eschenbach, und aus der es keinen Ausweg gibt. "Fluch" ist ein weiteres Klischee, das immer wieder gerne genommen wird, wenn von dieser Familie die Rede ist, und auch ein Fluch ist schicksalhaft, unausweichlich, ungerecht.
Ist das Schicksal der Familie Kennedy von "Tragik" überschattet? Liegt ein "Fluch" über ihnen?
Der Auslöser für diesen Eintrag war ein Artikel in RP Online, Das tragische Ende des liberalen Löwen, der - für mich - die mediale Apotheose eines durch und durch verderbten Hurenbocks einläutete. Nach dem bloßen Anblick der Überschrift Geachteter Patriarch und Obama-Lehrmeister im ach-so konservativen und wirtschaftsliberalen FOCUS habe ich dann aufgehört weiterzulesen.
Bleiben wir also bei RP Online und konzentrieren wir uns auf die zentrale "Tragödie" in Edward Kennedys Leben, ein Schicksalsschlag, der ihn - Gelobt sei der Herr - daran gehindert hat, das ihm, als einem Kennedy eigentlich rechtmäßig zustehende, Erbe anzutreten:
Doch es stecke wohl noch etwas Anderes hinter dem Zögern des jüngsten von neun Kennedy-Sprösslingen [i.e. sich um das Präsidentenamt zu bewerben]. Denn am 18. Juli 1969 war Kennedy in den sogenannten "Chappaquiddick-Vorfall" verwickelt gewesen. Bei einem Ausflug auf der Insel Chappaquiddick hatte er die Kontrolle über seinen Wagen verloren und war von einer Brücke in einen Gezeitenkanal gestürzt. "Teddy" konnte sich retten, doch seine Beifahrerin - die 29-jährige Sekretärin und Wahlkampfhelferin Mary Jo Kopechne - ertrank im gesunkenen Fahrzeug.Immerhin ringt sich die RP durch, den Tod einer jungen Frau als "Chappaquiddick-Vorfall" zu bezeichnen, und nicht als "besoffene Fahrlässigkeit" und bleibt damit verbal knapp über dem Gossenniveau eines Hannes "Pimpelchen" Stein, aber der Rest ist ebenso schlimm. Nein, es handelt sich nicht um "Spekulation". Lichtgestalt "Ted" Kennedy hat das Mädchen genau so ersäuft, als hätte er ihr selbst den Kopf unter Wasser gedrückt, genauso beiläufig, wie sich viele eines Wurfes junger Katzen entledigen.
Kennedy hatte den Unfallort verlassen und erst zehn Stunden später die Polizei gerufen. Für Kopechne kam somit jede Rettung zu spät. Seither kursierten Gerüchte, Kennedy sei betrunken am Steuer gewesen und habe seine politische Karriere nicht aufs Spiel setzen wollen. Das alles ist jedoch Spekulation. Kennedy beteuerte, er habe mehrfach vergeblich versucht, im Dunkeln nach seiner Beifahrerin zu greifen und sei später auch zum Wrack getaucht.
Gudrun Eussner schreibt:
Aus dieser Serie ist das Foto im Figaro, online ist es nicht. Wo das Wort Dike House steht, da nach links, sieht man auf dem Figaro-Foto drei Häuser. Unter dem Foto im Figaro steht:Auf der Webseite, auf die Gudrun Eussner hinweist, steht auch, dass die Bewohnerin des nahegelegenen "Dike House" zur Zeit des Unfalls wach war, dass niemand geklopft und um Hilfe gebeten habe, und dass John Farrar, der Taucher, der schließlich die Leiche von Mary Jo Kopechne barg, ausgesagt hatte, sie hätte in dem Auto unter Wasser NOCH MEHRERE STUNDEN GELEBT.
1969. Un soir de fête à Chappaquiddick, la voiture de Ted Kennedy dérape. Sa jeune collaboratrice meurt noyée. Il ne prévient la police que le lendemain.
1969. Eines Party-Abends in Chappaquiddick gerät das Auto von Ted Kennedy ins Schleudern. Seine junge Mitarbeiterin stirbt durch Ertrinken. Er benachrichtigt die Polizei erst am folgenden Morgen.
Es ist wie mit den Selbstmordattentaten in Israel: Ein Attentat ereignet sich. Ted Kennedy hat keine Schuld, sein Auto kommt ins Schleudern. Außerdem ist das nicht seine Mitarbeiterin gewesen, sondern die seines 1968 ermordeten Bruders Robert. Sie war anscheinend eine der Eroberungen des Ted Kennedy. Der war zu der Zeit übrigens nicht 22, sondern 37 Jahre alt. Seine Frau fiel durch seinen Lebenswandel in Depressionen.
Das war der "Schicksalsschlag", der "Ted" daran hinderte Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, weil Amerikaner so etwas wie ein Gewissen haben.
Gudrun Eussner zitiert aus der Druckausgabe des Figaro:
C'est alors que se produit l'épisode le plus trouble de son existence. Une sorte de moment "macbethien", de tache indélébrile qu'il ne pourra jamais effacer. Le 18 juin 1969, ...Ja, so spießig sind sie, die Amerikaner. Und selbstverständlich war es SEINE Existenz, die ins Wanken geriet. Mary Jo hatte ja nur ihr nebensächliches Leben verloren.
Da geschieht die zwielichtigste Episode seiner (!) Existenz. Eine Art "Macbeth"-Augenblick mit unauslöschlichen Spuren, die er niemals beseitigen kann. Am 18. Juni 1969 ....
Er meldet sich erst, nachdem die Polizei die Leiche gefunden hat. Er bekommt 2 Monate Gefängnis auf Bewährung. Er macht weiter mit Trinken und Frauen, weil die Amerikaner ihm nicht verzeihen (!).
"Ted" war in eine Familie geboren, die Schicksalsschläge ("Tragödien") anzuziehen schien (und scheint):
1941 wird seine Schwester Rosemary "das Opfer einer missglückten Gehirnoperation", eine Formulierung, die noch widerlicher ist, als es Euphemismen ohnehin sind. Tatsache ist, dass der alte "Joe" diese Tochter, die, anders als seine anderen Kinder, nicht in seinem Sinne optimal funktionierte, lobotomisieren ließ. Bei einer Lobotomie wird einem lebenden und sich bei Bewusstsein befindenden Menschen im Gehirn rumgestochert, bis ein erwünschter Effekt eingetreten ist. Bei Rosemary war es spätpubertäre Aufsässigkeit, die man "behandeln" wollte. Sie wurde von der Familie als "mildly retarded", leicht zurückgeblieben, dargestellt, was sie aber wohl nicht war. Hinterher war sie ein "vegetable".
Rosemary danach, später.
Kathleen und Rosemary als Debütantinnen.
Sieht so eine "zurückgebliebene" junge Frau aus?
Rosemarys Tagebücher wurden in den späten Dreissigern geschrieben und in den Achtzigern publiziert:
* "Went to luncheon in the ballroom in the White House. James Roosevelt took us in to see his father, President Roosevelt. He said, 'It's about time you came. How can I put my arm around all of you? Which is the oldest? You are all so big.""Zurückgeblieben", eh?
* "Have a fitting at 10:15 Elizabeth Arden. Appointment dress fitting again. Home for lunch. Royal tournament in the afternoon."
* "Up too late for breakfast. Had it on deck. Played Ping-Pong with Ralph's sister, also with another man. Had lunch at 1:15. Walked with Peggy. also went to horse races with her, and bet and won a dollar and a half. Went to the English Movie at five. Had dinner at 8:45. Went to the lounge with Miss Cahill and Eunice and retired early."
Rosemary wurde auch, zusammen mit ihrer Schwester Kathleen, offiziell bei Hof vorgestellt (ihr Vater war zu dieser Zeit Amerikanischer Botschafter am Hof von St. James), kaum etwas, das man mit einer "zurückgebliebenen" Tochter machen würde, zumal nicht ein gnadenloser "social climber", wie Joe Kennedy.
Weitere "Tragödien" waren:
1944
12. August: der älteste Sohn, Joseph Patrick Kennedy jr., stirbt, als sein Flugzeug über dem Ärmelkanal explodiert. Mit anderen Worten: Er fiel im Zweiten Weltkrieg. Ein Schicksal, das er mit knapp 300 000 Amerikanern, gut 16 Millionen Russen und den Gefallenen weiterer Nationen teilte. Zweifelsohne: Der Tiefpunkt von WKII war der Tod von Joseph Kennedy junior.
10. September: William Cavendish, Marquess of Hartington, der Ehemann von Kathleen, fällt in WKII. Ein Schicksal, dass er mit 400 000 Briten teilte und auch hier wird die "Tragödie" den Kennedys zugerechnet. Wen interessiert schon der olle Herzog von Devonshire, der ja nur seinen Sohn und Erben verloren hatte.
1948 stirbt die zweitälteste Tochter Kathleen Kennedy-Cavendish bei einem Flugzeugunglück über Frankreich, was eh schon wurscht war, da sie ja keine Herzogin mehr geworden wäre. Übrigens: Fliegen ist gefährlich!
1956: Jackie Kennedy erleidet eine Totgeburt. Was bei anderen Leuten eine medizinische Kondition ist, nämlich die Eigenschaft, nur schwer Kinder austragen zu können, wird bei den Kennedys zum "Schicksalsschlag" und zur "Tragödie".
1963
9. August: Patrick, das jüngste Kind von Jacqueline Kennedy und John F. Kennedy, stirbt zwei Tage nach seiner Geburt. (Siehe oben!)
22. November: John F. Kennedy, dem man ein sichereres Fahrzeug angeboten hatte, der aber das "Bad in der Menge" vorzog, wird in Dallas ermordet.
1964 entkommt Edward Kennedy bei einem Flugzeugunglück nur knapp dem Tod. Hatte ich schon gesagt, dass Fliegen gefährlich ist?
1968 wird Robert Kennedy in Los Angeles ermordet. Shit happens!
1969 verursacht Edward Kennedy in Chappaquiddick einen Autounfall, bei dem die Wahlkampfhelferin Mary Jo Kopechne ertrinkt. Er überlebt erneut, das Leben ist nicht gerecht.
1973
Edward M. Kennedy jr., Sohn von Edward Kennedy, verliert wegen einer Krebserkrankung ein Bein, eine weitere medizinische Kondition, die für die Kennedys zum "Schicksalsschlag" und zur "Tragödie" wird, weil ihnen ja, sozusagen naturgesetzlich, Freisein von Krankheit und überhaupt allen suboptimalen Zuständen, zusteht.
Joe Kennedy, Sohn von Robert Kennedy, verursacht einen Autounfall, nach dem seine Freundin Pam Kelly querschnittgelähmt bleibt, eine weitere "Tragödie" - für die Kennedys.
1984 stirbt David A. Kennedy, Sohn von Robert Kennedy, an einer Überdosis Drogen, eine weitere, schicksalhafte, unausweichliche "Tragödie", eine weitere Ungerechtigkeit des Schicksals.
1991 wird William Kennedy-Smith, Sohn von Jean Kennedy-Smith, wegen der Vergewaltigung der 30-jährigen Patricia Bowman, während der Onkel Teddy zwischendurch in Unterhose mal kurz reingetapert sein soll, auf dem Familiensitz in Palm Beach, Florida, angeklagt und trotz aussichtsreicher Beweislage freigesprochen, was ausnahmweise einmal wirklich eine Tragödie (oder besser eine Farce) ist.
1997 stirbt Michael LeMoyne Kennedy, Sohn von Robert Kennedy, bei einem Skiunfall, weil er, in dem festen Glauben, ein Kennedy stünde über den Naturgesetzen, rückwärts einen Skihang runtergefahren und mit einem Baum kollidiert war.
Kurz davor war er in die Schlagzeilen geraten, weil er eine Affäre mit der minderjährigen Babysitterin seiner Kinder hatte, alles schicksalhaft, unvermeidbar, tragisch.
1999 sterben John F. Kennedy Jr., seine Frau Carolyn Bessette-Kennedy und deren Schwester Lauren Bessette bei einem Flugzeugabsturz vor Martha’s Vineyard, Cape Cod, weil John junior, in dem festen Glauben, ein Kennedy stünde über den Naturgesetzen, trotz der Wetterwarnungen und obwohl er ein unerfahrener Pilot war, losgeflogen war. Eine weitere Tragödie für die Kennedys and fuck the Bessette family.
2001 wird der Neffe von Ethel Skakel-Kennedy, Michael Skakel, des Mordes an Martha Moxley überführt und angeklagt. Der Mord geschah 1975, als Opfer und Täter 15 Jahre alt waren, was es wohl irgendwie weniger schlimm macht. Skakel wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die Tragödie ist, wohlgemerkt, die Verurteilung Skakels 2001, nicht der Tod des jungen Mädchens 1975.
Die Kennedy-Familie kämpft um Skakels Rehabilitierung, um zumindest diese Tragödie von sich abzuwenden. Ruhe in Frieden Martha Moxley.
2009 stirbt Edward "Ted" Kennedy an einem Hirn-Tumor, um der Liste der "Schicksalsschläge" und "Tragödien" um einen weiteren Punkt zu ergänzen. Well Done, Good Riddance and Rest in Peace!
Es ist nicht mein Ding, Kennedys disaströses politisches Erbe darzustellen. Aber der Mensch ist vom Politiker unteilbar. Rosemary Kennedy, Mary Jo Kopechne, Pam Kelly und Martha Moxley sind keine Zufälle. Sex mit Minderjährigen und Vergewaltigungen lasse ich sowieso außen vor, das hier ist ein Blogeintrag und keine Habilitationsschrift. Die Kennedys gehören schlichtweg auf den Abfallhaufen der Geschichte.
Die wirklich interessante Frage ist doch, warum der erklärte "family man" Obama einen Mann zu seinem politischen Mentor erkoren hat, den er, hätte letzterer nur länger gelebt, in zwei oder drei Jahren nicht mit seinen Töchtern hätte alleine lassen können. Die nächste wirklich interessante Frage ist, warum zwei Männer, die man, sogar einmal abgesehen von der Vergangenheit des einen, mit Fug und Recht als Verräter an Amerikas besten Idealen bezeichnen kann, von den Qualitätsmedien in diesem unserem Lande derart obszön hochgejubelt werden.
Als über dem Weißen Haus am Mittwoch längst die Fahne auf halbmast wehte, trat der Präsident vor die Kameras. "Unser Land hat einen großen Führer verloren", sagte Obama, "der die Fackel seiner gefallenen Brüder aufgenommen hat und einer der größten Senatoren unserer Zeit wurde." Diese Fackel ist nun in seinen Händen.Für mich sehen sie, auch Mr. Squeaky Clean Obama, wenn ich sie so zusammen sehe, einfach nur wie zwei alte Saubären aus, die dabei sind, schmuddelige Adressen austauschen.
Die von mir verwendeten Quellen sind im Internet leicht auffindbar. Für den, der Englisch lesen kann, empfehle ich den ausführlichen, maß- und respektvoll geschriebenen Bericht des damals (1990) noch weitgehend unbekannten Reporters Michael Kelly, der 2003 als Kriegsberichterstatter im Irak ums Leben kam: A SOBER LOOK AT TED KENNEDY.